Neuerdings bietet die Social Media Plattform LinkedIn eine zusätzliche Option bei der Profilgestaltung. Direkt hinter dem Namen können jetzt auch die bevorzugten Genderpronomen auf dem Profil angezeigt werden. Damit reagiert LinkedIn auf eine Menge Social Media User, die schon seit längerem ihre Pronomen in ihren Profilbeschreibungen angeben. Aber warum eigentlich? Sollte auch ich die neue Einstellung nutzen? Und was hat es mit dieser ganzen Debatte rund um die Gendersprache auf sich?
Gendern meint eine Anpassung der Sprache, die die Gleichbehandelung aller Gender zum Ziel hat. Anders als das biologische Geschlecht, meint das Wort Gender eine soziale Identität.
Zu den Aspekten der gendergerechten Sprache gehört die Sichtbarmachung aller Geschlechter oder die Neutralisierung von Geschlechtlichem in der Sprache. Versucht wird dies zum Beispiel durch Wortformen wie "Lehrer:innen" oder Ausdrücken wie "Lehrkräfte". Hinzu kommt die Sensibilität für die Verwendung der richtigen Genderpronomen (er/ihm, sie/ihr, es/ihm usw.).
Ganz allgemein gesagt brauchen wir Pronomen, um effektiver miteinander zu kommunizieren, denn Pronomen verkürzen unsere Sprache. Ein Beispiel:
Der Bus kam heute zu spät. Außerdem war der Bus er ziemlich voll.
Genauso funktioniert es auch mit Menschen, wir ersetzen einen Namen oder eine Beschreibung mit einem Pronomen:
Andrea liebt Kaffee. Andrea Sie bevorzugt den Kaffee ohne Zucker.
Aber was wenn jemand Andrea auf LinkedIn anschreiben möchte und außer dem Namen kaum Informationen findet? Andrea ist In Italien schließlich auch ein gängiger männlicher Vorname. Vielleicht ist Andrea sogar ein gebürtiger Mann, bevorzugt jetzt aber trotzdem die Pronomen sie/ihr.
Der Punkt ist, dass die Pronomen beim Menschen vom Gender abhängen, sie sind Genderpronomen. Das richtige Gender ist aber nicht immer leicht zu erkennen. Die bevorzugten Genderpronomen selbst auf dem eigenen Profil zu vermerken vermeidet unangenehme Situationen und gibt allen die Chance im ersten Anlauf die korrekte Ansprache zu wählen. Je mehr Menschen dem nachgehen, desto normaler ist das auch für jene, die es wirklich brauchen.
Nach einem Klick auf das Stift-Symbol auf dem eigenem LinkedIn Profil ist die neue Option gleich eine der ersten. In einer Textzeile kann hier nach Belieben eingegeben werden, welche Ansprache man bevorzugt.
Sichtbar sind die eingestellten Genderpronomen gleich an drei verschiedenen Orten: direkt hinter dem Namen auf dem Profil, im Nachrichtenfenster und auch im Feed, zum Beispiel beim kommentieren.
Wie bei vielen anderen Profileinstellungen auch, kann begrenzt werden, für wen die Genderpronomen sichtbar sind. Hier gibt es die Wahl zwischen allen LinkedIn Usern und der User im eigenen Netzwerk.
Natürlich geht gendergerechte Sprache über die Verwendung der richtigen Pronomen hinaus. Vordergründig geht es bei der Debatte rund um die Gendersprache um Bezeichnungen von Personengruppen die mehrere Geschlechter beinhalten. Vor dieser Debatte wurde in solchen Fällen das generische Maskulinum genutzt, also die männliche Form, die alle Geschlechter mitmeint. Zum Beispiel so:
Die Oscars werden jährlich an Schauspieler, Drehbuchautoren usw. verliehen.
Allerdings funktioniert dieses „mitmeinen“ nicht immer, wie einige Studien belegen. Zum Beispiel zeigt eine Studie, dass Versuchspersonen öfter Männer nennen wenn sie nach „berühmten Musikern“ gefragt werden, als wenn nach „berühmten Musikerinnen und Musikern“ gefragt wird.
Auch durch Messungen der Reaktionszeit konnte gezeigt werden, dass viele Menschen beim generischen Maskulinum eher an eine Gruppe Männer denken. Dafür lasen Testpersonen Satzpaare wie dieses:
“Die Sozialarbeiter liefen durch den Bahnhof.”
“Wegen der schönen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Jacke.”
Danach wurde gefragt, ob der zweite Satz eine sinnvolle Fortsetzung des ersten ist. Dann wurde die Zeit gemessen bis die Testpersonen mit „ja“ antworteten. Kamen Frauen im zweiten Satz vor, war die Reaktionszeit länger. Anscheinend waren diese Fortsetzungen verwirrender.
Wie Gendersprache in der Praxis aussieht ist ein viel diskutierter Punkt. Schließlich gibt es viele verschiedene Wege das Ziel der Gleichbehandelung zu erreichen. Die eine Option ist leichter umzusetzen, die nächste dafür etwas angenehmer zu lesen. Letztendlich kommt es auf persönliche Präferenzen an. Dennoch ist es empfehlenswert eine der Folgenden Varianten dauerhaft zu verwenden und wenn möglich keine Varianten vermischen, so kann Verwirrung vermieden werden.
Kolleginnen und Kollegen
Diese Form ist einfach anzuwenden und stört den Textfluss nicht, allerdings wirkt sie sich stark auf die Satzlänge aus. Aufzählungen von mehreren Personengruppen werden mit dieser Form sehr lang.
Zum Straßenfest erschienen Politikerinnen, Journalisten, Unternehmerinnen und Bürger.
Im Gegensatz zur Doppelform bleiben Sätze kurz, jedoch kann es zu Verwirrungen kommen. Waren nur weibliche Politikerinnen und nur männliche Journalisten anwesend?
Liebe Leser1
1 Zur Wahrung des Leseflusses wird im folgenden Text nur die männliche Form genannt, dennoch sind immer Menschen mit allen Genderidentitäten gemeint.
Eine Fußnote ist schnell geschrieben, aber auch schnell mal überlesen. Außerdem ist zu vermuten, dass sich unterbewusst trotzdem nicht alle Menschen mitgemeint fühlen.
MechanikerInnen
Bäcker*innen
Erzieher/-innen
Bauarbeiter_innen
Lehrer:innen
Polizist.innen
Diese Wörter sind aufgrund der Schreibweise (Großbuchstabe oder Zeichen im Wort) ungewohnt zu hören und zu lesen. Aufgrund der problemlosen Anwendung ist diese Variante sehr weit verbreitet.
Lehrkörper
Lehrkräfte
Wahlberechtigte
Gremium
Kunstschaffende
Personen
Durch Kollektivbezeichnungen oder geschlechtsneutrale Ausdrücke wird Gender in der Sprache neutralisiert. Eine geschickte Lösung der Problematik. Trotzdem klingen auch diese Wörter oft ungewohnt.
Die Gendersprache ist vordergründig ein Diskussionsthema, bei dem gesellschaftliche Normen und Entwicklungen debattiert werden. Aber wie wird das Thema aus einer rein geschäftlichen Perspektive betrachtet? Sollten Unternehmen in ihrer Kommunikation auf geschlechtergerechte Sprache achten?
Immer wenn es um Sprache im Business geht, empfiehlt es sich die Sprache der Zielgruppe anzunehmen. Im Bezug auf eine infratest Umfrage sollte hierbei vor allem auf das Alter geachtet werden. Gerade Männer über 65 könnten die ungewohnten Wörter der Gendersprache irritieren. Wer nach einem Mittelweg sucht, könnte geschlechtsneutrale Begriffe verwenden. Diese Ausdrücke sind weniger ungewohnt zu lesen Umgehen die Problematik aber trotzdem.
Im Großen und Ganzen lehnt die Mehrheit der Befragten die gendergerechte Sprache aber ab. Laut der infratest Umfrage sprechen sich 65 Prozent der Wahlberechtigten gegen eine Verwendung der Gendersprache in Medien und Öffentlichkeit aus. Klar ist dennoch: die Nutzung gendergerechter Sprache sollte bei der Zielgruppenerfassung berücksichtigt werden.
Für die Nutzung gendergerechter Sprache gibt es gute Gründe, aber auch nachvollziehbare Gegenargumente. Die Änderung unserer Sprachgewohnheiten würde zu einer toleranteren Gesellschaft beitragen, allerdings ist solch eine Umgewöhnung sehr mühselig und die Mehrheit ist dagegen. Hingegen ist das neue LinkedIn Feature ein gutes Beispiel für eine Neuerung, die für mehr Toleranz gegenüber allen Geschlechtsidentitäten sorgt, ohne irgendwen zu neuen Gewohnheiten zu bewegen.